Langweilig, langweiliger, am langweiligsten. So war der Europawahlkampf 2019, bis am 18. Mai der Youtuber Rezo ein knapp einstündiges Video veröffentlichte, in dem er – einigermaßen solide recherchiert – mit der Klima-, Umwelt-, Friedens- und Sozialpolitik der meist unionsgeführten Bundesregierung der letzten Jahrzehnte abrechnet. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde das Video verkürzt auf: Den Klimawandel halten die etablierten Parteien nicht auf, jetzt müssen wir ran. Man darf wohl annehmen, dass Rezo damit viele junge Leute am Sonntag in die Wahllokale getrieben hat, die vorher eher unentschieden waren. Und wie auch immer man nun selbst zum Ergebnis der Wahl steht: CDU/CSU und die SPD zeigen sich einigermaßen – wie soll ich sagen – irritiert.
Nach monatelangen Demonstrationen von Schülern und Schülerinnen weltweit unter dem Hashtag #FridaysForFuture; nachdem sich verschiedene Gruppen diesem Protest angeschlossen haben, z.B. #ScientistsForFuture, #ParentsForFuture oder #EntrepreneursForFuture; nachdem Christian Lindner sich mit dem Spruch „Das ist eine Sache für Profis“ tagelange Häme in der Medienlandschaft zugezogen hat; nachdem gefühlt im Wochentakt neue Apokalypse-Szenario-Studien veröffentlicht werden; mehr als 30 Jahre nach Verabschiedung des Kyoto-Protokolls; nach #Hambibleibt im letzten Jahr, da sitzt Armin Laschet von der CDU bei Anne Will und wundert sich: „Aus irgendeinem Grund ist das #Klima-Thema plötzlich ein weltweites Thema geworden und damit hat es die letzten Wochen dieses Wahlkampfes bestimmt“.
Klimawandel… PLÖTZLICH?
Lieber Herr Laschet,
als Sie gerade das 1. Staatsexamen ablegten, lernte ich im Biologie-Unterricht, dass man Wasser sparen kann, wenn man einen Ziegelstein ins Becken der Klospülung legt. Der Stein verdrängt Wasser, so dass pro Spülung weniger Leitungswasser verwendet wird. Sparspülungen waren damals noch nicht üblich. Mein Bio-Lehrer hat mit uns auch über Konzepte gesprochen, Regenwasser aufzufangen und statt des Trinkwassers für das WC oder das Wäschewaschen zu benutzen.
Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass wir die Umwelt schützen müssen. Gut, Klimawandel war das Riesenthema nicht. Wir dachten damals ja auch, dass es 2019 schon kein Öl mehr geben würde und wir wieder auf Pferden reisen. Aber wir wussten davon. Wir wussten auch, dass wir in Deutschland die höchsten Umweltschutz-Standards hatten und weltweiter Vorreiter waren, z.B. beim Thema Recycling. Wir haben 1995 alle zusammen Shell die Hölle heiß gemacht, als die Brent Spar in der Nordsee versenkt werden sollte. Das ist bald 25 Jahre her! Mittlerweile dürfen Ölplattformen nicht mehr versenkt werden. Damit bin ich aufgewachsen: gemeinsamer Protest wirkt. Und meine Regierung tut beim Thema Umweltschutz, was sie kann, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass es ein Problem gibt.
Schöne, neue Welt
Seitdem ist Massentierhaltung zu einem deutschen Exportschlager geworden. Wir produzieren mehr Gülle als unsere Böden aufnehmen können, und müssen Strafen an die EU wegen unserer Nitratbelastung zahlen. Kühe auf Feldern habe ich schon ewig nicht mehr gesehen, die werden jetzt im Stall gehalten. Europa hat seinen CO2-Ausstoß reduziert – indem es die Produktion zu großen Teilen in asiatische Niedriglohnländer verlegt hat und den fertigen Krempel auf schweröl-betriebenen Containerschiffen wieder rankarren lässt. Es gibt überall „Aufräumaktionen“, bei denen Strände von angespültem Müll gesäubert werden.
Stundenlang kann sich die interessierte Bürgerin Dokumentationen reinziehen über die Vergiftung der Natur, das Sterben von Tieren und die Zerstörung von Lebensraum. Wer dann noch Zeit hat, kann sich mit den Arbeitsbedingungen in unseren Produktionsstätten in Übersee beschäftigen oder mit denen in der Fleischerzeugung bei uns. Deutschland ist der Puff Europas geworden, weil wir fast die einzigen sind, die Sexarbeit nicht beschränken und Menschenhändler ihre Zwangsprostituierten hier gut unterbringen können. Die 45 reichsten Haushalte besitzen so viel Vermögen wie die unteren 50% aller deutschen Haushalte zusammen.
Die Informationsgesellschaft… ist informiert
Ich habe meinen ersten Tornado erlebt. In Hamburg. Ich habe Kinder getroffen, deren Elternhaus weggebombt worden ist, und ich kann nicht sicher sein, dass in diesem Krieg keine Waffen aus meinem Land eingesetzt worden sind. Ich hatte den Auftrag, Menschen in Arbeit zu vermitteln, die nur deshalb arbeitslos geworden waren, weil ein Fastfood-Restaurant ihnen mehr Stunden geben wollte, aber die Stunden ihrer Arbeitsgenehmigung nicht ausgeweitet worden sind. Ich habe erlebt, wie ausländische Vergewaltigungsopfer in der Prostitution landen, weil sie kein eigenständiges Aufenthaltsrecht haben, wenn sie in ihrer Ehe Opfer werden, und sich deshalb auch keine Arbeit suchen können.
Die Medien bringen mir Nachrichten aus aller Welt. Ich sehe die Gletscher schmelzen. Dämme brechen und Agrarflächen vergiften. Seen austrocknen. Den Regenwald brennen. Ich höre Berichte über vergiftetes Trinkwasser und ausgelaufene Pipelines. Wissenschaftler rechnen uns auf die Tonne genau aus, wie viel CO2 wir als gesamte Menschheit noch in die Atmosphäre blasen können, bevor der Klimawandel unumkehrbar und unaufhaltsam wird. Erste Inselstaaten haben schon vor Jahren die Vereinten Nationen angerufen und um Lösungen gebeten, weil der steigende Meeresspiegel ihre Inseln untergehen lässt. Ich kenne Studien, die davon ausgehen, dass die Belastung der Umwelt mit hormonähnlichen Substanzen, z.B. aus Plastikweichmachern und Medikamenten (mit-)verantwortlich für den massiven Anstieg an psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ist.
Warum ausgerechnet der Klimawandel?
Bei der Masse an Problemen, die wir als Menschheit derzeit zu lösen haben, kann ich eine Frage gut verstehen: Warum hat sich die Diskussion so auf den Klimawandel zugespitzt? Wie konnte es geschehen, dass ausgerechnet dieses Thema die unterschiedlichsten politischen Strömungen vereint, und mit den Grünen eine Partei davon profitiert, die in den letzten Jahren auch nicht gerade berühmt für ihre hohen Umweltstandards war – aber eben die einzigen sind, die das Thema überhaupt auf dem Schirm haben?
Dabei wurde sich doch solche Mühe gegeben! Mit der Leugnung des Klimawandels überhaupt. Der Diskreditierung derer, die den Klimawandel zumindest teilweise für menschengemacht halten. Mit der Herabwürdigung von denen, die finden, dass wirtschaftliche Interessen hinter dem Erhalt der Lebensgrundlage für alle Menschen zurückstehen müssen. Aber die Arbeitsplätze! Öko-Faschismus! Die Ölindustrie steckt Millionen in Lobby-Arbeit gegen den Klimawandel. Der Einfluss der Automobilindustrie auf die deutsche Bundespolitik ist mittlerweile sprichwörtlich. Die Energieversorger lassen sich den Atomausstieg vergolden und hinterlassen uns ihren Restmüll.
Druck von außen schweißt die Gruppe zusammen
Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Thema herauskristallisiert, an dem sich alles andere festmachen kann. Der Klimawandel ist der große Gleichmacher. Er betrifft jeden Menschen. Gleichzeitig betrifft er uns aber nicht alle im gleichen Ausmaß. Ausgerechnet die Staaten, deren Lebensstandard am wenigsten zum Klimawandel beiträgt, werden von seinen Folgen am härtesten und als erstes getroffen. Die reichen Industrienationen, in denen Kohle und Öl verfeuert werden als gäbe es kein Morgen (ich musste diese Redewendung unterbringen, ha!), sind am besten gerüstet, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Das ist ungerecht. Viele Menschen in den reichen Staaten interessiert das nicht.
Und das, lieber Herr Laschet,
ist es, was Ihre Generation an der jungen Generation nicht versteht. Wir leben in einer Zeit, in der wir mit einem Klick die ganze Welt in unser Zuhause holen können. Der Globus ist ein digitales Dorf geworden. Ich habe mit Menschen aus allen Kontinenten zusammen studiert. Ich zähle Menschen zu meinen Freunden aus Ländern, mit denen ich vor 30 Jahren, damals im Bio-Unterricht auf dem norddeutschen Dorf, niemals in Kontakt gekommen wäre. Mein Sohn hatte schon mit 13 über seine Gamer-Community Freunde auf der ganzen Welt. Globales Denken ist für ihn normal.
Und ja, Sie können gern sagen: Das sind doch keine Freunde. Aber wer mit digitalen Kommunikationswegen aufwächst, für den ist es normal, dass man nicht jeden Menschen persönlich treffen muss und trotzdem von ihm lernen kann. Und wenn man mit der ganzen Welt befreundet ist, dann kann einem nicht egal sein, was am anderen Ende der Welt passiert.
Die junge Generation ist nicht nur digital, sie ist auch global. Und vor allen Dingen ist sie heterogen und interessiert sich für die Welt, in der sie lebt. Wer diesen Kindern und Jugendlichen zuhört, der kann so viel lernen! Wer ihnen Orientierung gibt, statt von oben herab ihre Ansichten als unerfahren und irrelevant einfach wegzuwischen, kann so viel Freude erleben. Stolz. Glück. Das sind unsere Kinder! Die haben wir richtig gut hingekriegt. Die wissen genau, dass es neben dem Klimawandel noch tausend andere Probleme zu lösen gibt. Inklusive des Problems der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.
Niemand kann ein Interesse daran haben, diese Generation zu verprellen. Irgendwann verstehen die nämlich auch, wie das Rentensystem funktioniert. Wäre meine Rente davon abhängig, dass mein Kind oder Enkel später dafür die Beiträge zahlt, wäre ich freundlich.
Herzlichst, Ihre Natalie Junge
Der Klimawandel bereitet dir Sorgen und du möchtest dich besser vorbereiten?
Durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse auch bei uns zunehmen. Die Infrastruktur bei uns ist nicht schlecht. Allerdings warnen Fachleute, dass wir nicht auf alle Szenarien ausreichend vorbereitet sind. Es kann auch im Optimalfall ein paar Tage dauern, bis die staatlichen Hilfen eintreffen. Die persönliche Vorsorge kann nichts ersetzen. Ein guter Start ist meine Reihe 7 Wochen Krisenvorsorge. Und nicht vergessen:
Don’t panic, and carry a towel!
Douglas Adams
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