Alles neu

Alles neu

Neulich bekam ich, aus Gründen, das sehr wohlmeinende Feedback, ich sei in der Lage, mich immer wieder neu zu erfinden. Nun bin ich ja ein großer Fan von Komplimenten und habe mir auch angewöhnt, die erst einmal einfach anzunehmen. Aber dieser Ausdruck saß irgendwie nicht richtig. Und jetzt weiß ich auch, warum: Es stimmt einfach nicht.

Ich erfinde mich nicht neu. Habe ich auch noch nie. Ich benutze noch nicht einmal die Formulierung „Ich werde immer mehr ich“, mit der sich manche das Altwerden schönreden und rechtfertigen, warum sie sich nicht mehr benehmen (lohnt sich nicht mehr, wen muss ich noch beeindrucken?!?).

Warum es von außen den Eindruck macht, ich würde mich immer wieder neu erfinden, verstehe ich gut. Ich habe schon mehrfach den Beruf gewechselt. Mittendrin nochmal studiert. Ich probiere immer mal neue Sachen aus. Einiges davon treibt Freunden und Familie den Angstschweiß auf die Stirn (mit dem 6jährigen nach UK auswandern?!?), anderes auch völlig Fremden (Kabarett? Und dann stehst da auf der Bühne – einfach nur du???). Wie wir alle entwickle auch ich mich dauernd weiter. Manchmal ganz natürlich und völlig geräuschlos. Bei anderen Gelegenheiten mit einem lauten Rumsen. Und jetzt wechsle ich halt mal wieder den Beruf.

Mit lautem Rumsen

Nächste Woche endet meine Zeit bei der Bürgerschaft. Ein Jahr vor dem PUA selbst. Und mindestens ein Jahr später, als wir alle dachten, dass es enden würde. Als ich die Aufgabe im Arbeitsstab übernehmen durfte, war ich total gehypt. Das eine war die politische Brisanz des Falls. Aber für mich als Betriebswirtin war es vor allem fachlich ein Geschenk, mal so richtig in die Tiefen von Cum-Ex einsteigen zu dürfen. Dass ich mich nach dem PUA beruflich neu orientieren würde, war von Anfang an klar. Die Möglichkeit und der Zwang dazu waren ein added benefit der Befristung.

Und so habe ich mir im letzten Jahr eine ausführliche Beratung gegönnt, um die nächsten Schritte zu planen. Nicht mein erstes Rodeo in der Berufsberatung, habe ich doch lange selbst Menschen beim Wiedereintritt oder Berufswechsel beraten. Und das Berufsfindungs-Seminar, in dem mir 2006 eine der Koryphäen der deutschen Coaching-Szene als Berufsziel „Kabarettistin“ entwickelt hat, hängt mir auch noch nach. Die Idee war geil, aber können vor Lachen. Mit der Umsetzung wurde ich natürlich allein gelassen. Ideen entwickeln und Ideen implementieren sind halt zwei unterschiedliche Kompetenzen.

Auch etwas, was Arbeitgeber nicht schnallen, wenn sie Strategen suchen, die nach dem Aufbau einer Abteilung die Leitung derselben übernehmen sollen. Entweder hast du eine gute Strategin oder jemanden, der mit Routine gut klarkommt. Beides in einer Person ist sehr selten. Aber jetzt komm ich vom Thema ab….

Es dauerte jedenfalls 9 Jahre, bis ich das erste Mal mit eigenem Material auf der Bühne stand und 5 € bei einem Open Mic bekommen habe. Die jetzt anstehende Neuorientierung musste in einem deutlich kürzeren Rahmen zu einem tragfähigeren Ergebnis führen. Und das tat sie auch. Deshalb sitze ich jetzt in meiner Gesprächstherapie-Klasse und rede über die Stellen in meinem Leben, an denen es gerumst hat.

Oh… das ist ja was ganz anderes

Eigentlich nicht, sag ich dann. Ich hab ja mal dieses studiert, jenes gelernt, mit der und der Zielgruppe gearbeitet. Systemisch denken tun wir im Management auch, ich weiß gar nicht, wie man anders an Probleme herangehen kann. Die Modelle zu menschlichem Verhalten werden in allen Disziplinen angewendet, in denen man mit Menschen arbeitet. Das weiß nur keiner, weil jeder nur eine Disziplin beherrscht…. Und das Vulnerabilitäts-Stress-Modell in der Psychiatrie entspricht ziemlich genau dem Modell zur Entstehung von Katastrophen… und…

Ja, sollte ich eigentlich sagen, ja. Das ist was ganz anderes. Punkt. Ausatmen.

Gehirn:

Und schreiben will ich, und auf die Bühne muss es auch wieder gehen. Und vielleicht suche ich mir erstmal eine halbe Stelle für den Übergang. Kaufmännische Leitung wäre doch was, vielleicht in einem Verein. Oder ich unterrichte wieder. Und dann mache ich dieses Seminar über KI und Ethik, geiles Thema, ich dreh am Rad. Aber programmieren ist ja so langweilig, sonst hätte ich mir auch Cyber-Security vorstellen können. Und dann habe ich in dem Coaching noch so eine wilde Idee gehabt über Design und was Räume mit uns machen, die habe ich überhaupt noch nicht weiter verfolgt. Vielleicht hätte ich erstmal mit ein paar Architekten sprechen sollen. Will ich wirklich nicht mehr promovieren? Crime as Organisational Crisis war so ein guter Aufhänger. Für eine vertiefende Therapie-Ausbildung muss ich mich noch entscheiden. Theater und Schreiben würde ich gern integrieren. Aber vor allem natürlich Trauma-Therapie. Denn natürlich ist es überhaupt nicht neu oder etwas ganz anderes. Ich habe schon in meinem allerersten Beruf mit Opfern von sexualisierter Gewalt zu tun gehabt.

In meinem Kopf macht das alles total viel Sinn und baut logisch aufeinander auf.

Trotzdem hadere ich manchmal damit, dass ich so bin. Ich habe mir lange gewünscht, eines Tages aufzuwachen und zu wissen, was ich machen will. Eine Zeitlang habe ich mir sogar eingebildet, meine berufliche Rastlosigkeit läge daran, dass ich nicht Medizin studiert habe und das halt bereue: Leben verschwendet. Pech gehabt.

Viele Potenziale

Dann bin ich irgendwann über diesen TED-Talk von Emilie Wapnick gestolpert, in dem sie über Menschen wie mich spricht. Sie nennt uns „Multipotentialites“. Andere Autorinnen, die sich mit dem Thema beschäftigen, benutzen andere Begriffe. Aber ich mag Multipotentialite. Da steckt so viel Power drin.

Ich bin nur nicht sicher, ob man Menschen wirklich danach unterscheiden sollte, denn in jedem und jeder von uns stecken so viele Leben mehr als das, das wir tatsächlich leben. Wenn du oder ich unter völlig anderen Umständen geboren worden wären, hätten wir uns wahrscheinlich anders entwickelt, andere Hobbys betrieben, einen anderen Beruf gewählt, andere Partner. Aber wir sind halt in diesem hier gelandet.

Einigen von uns brennt es nun mehr unter dem Hintern als anderen, wir wollen mehrere unserer Interessen gleichzeitig, in diesem Leben, verfolgen. Nicht nur in der Freizeit, als Hobby, sondern während der längeren Zeit des Tages, nämlich der, die wir im Job verbringen.

Also nein, ich erfinde mich nicht neu. Ich rücke nur eine andere Leidenschaft, anderes Potential in den Vordergrund. Der Weg, auf dem ich mich befinde, macht mich so glücklich! Ich kann den Tag, an dem ich endlich als Therapeutin arbeiten darf, kaum erwarten. Und ich weiß gleichzeitig, dass das nicht „die“ Endstation sein wird. Ich werde mich weiter entwickeln, meine Interessen werden sich weiter entwickeln. Wenn ich Glück habe, entpuppt sich der neue Weg als ebenso tragfähig wie meine Zeit in der universitären Lehre, wo ich es länger ausgehalten habe als in jeder Festanstellung, weil ich in jedem Semester ein neues Modul unterrichten und selber noch etwas Neues lernen konnte.

Bis es so weit ist, stehe ich euch als Beraterin natürlich weiter zur Verfügung. Ab April wieder mit mehr Kapazität. Für ein unverbindliches Kennenlerngespräch schickt bitte eine Mail an office@nataliejunge.de oder ruft mich an.


Foto von Suzanne D. Williams auf Unsplash

Beitrag erstellt 29

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben