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Rassismus: Nichts über uns ohne uns

Ich habe diese Woche einige Posts von Selbständigen und Unternehmer*innen gelesen, die derzeit „intern“ darüber nachdenken, wie sie das Thema Rassismus in ihren Organisationen und Netzwerken angehen können. Grundsätzlich ist das gut und zu begrüßen. Was mich daran nervös macht, ist das „intern“. Denn, wie Albert Einstein gesagt haben soll:

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Als strategische Beraterin und als Wirtschaftswissenschaftlerin mit feministischen Wurzeln sind Empowerment und Inklusion seit jeher Teil meiner Arbeit. Auch im Krisen- und Katastrophenmanagement sind der Einfluss von Macht, der unterschiedliche Zugriff auf Ressourcen, die Verfügbarkeit von Informationen oder die (fehlende) Beteiligung bestimmter Gruppen an den Planungen ein relevantes Thema. Rassismus wirkt sich, genau wie andere Formen der Benachteiligung, auf alle Bereiche des Lebens aus.

Es gibt einen – und nur einen – Rat, den ich Klient*innen gebe, die sich mit Ungleichheit jeglicher Art in ihren Organisationen auseinandersetzen wollen:

1. Wenn ihr die Situation einer Gruppe verbessern wollt, bezieht Mitglieder dieser Gruppe in eure Gespräche mit ein.

Das klingt zwar ziemlich offensichtlich, aber ihr wärt überrascht (oder auch nicht), an wie vielen Meetings ich teilgenommen habe, auf denen sich weiße Männer gefragt haben, warum es in ihren Organisationen keine weiblichen Führungskräfte gibt. Oder wo sich weiße Pädagogen aus der Mittelschicht gefragt haben, warum es ihnen nicht gelingt, bestimmte Probleme in der Klasse zu lösen.

Wenn ihr über eine Gruppe von Menschen sprecht und keiner von euch gehört dieser Gruppe an, dann gebt euch mehr Mühe! Sprecht die richtigen Personen an und bittet sie dazu. Euer Team wird nicht plötzlich vielfältiger, sobald ihr anfangt, andere Perspektiven einzuholen. Und manches wird Zeit in Anspruch nehmen, bevor sich wirklich etwas im Denken ändert. Aber das sollte euch nicht davon abhalten, Experten und Mitglieder einer bestimmten Gruppe in eure Analysen und Planungen einzubeziehen. Wenn ihr gegen Rassismus vorgehen wollt, stellt euch zuerst die Frage, warum es in eurem Unternehmen nur weiße Führungskräfte gibt.

Und dafür kann es gute Gründe geben: Vielleicht habt ihr ja gerade erst gegründet und seid eben beide weiß. Das ist völlig in Ordnung. Aber wenn euer Startup von unbezahlten Praktikanten lebt, weil ihr noch keinen Umsatz macht, haben in eurem Unternehmen nur Menschen Platz, die sich unbezahlte Praktika leisten können. Und so fängt es an.

Und da wir gerade dabei sind: Es gibt ein 1.a) zu meiner einzigen Regel:

1.a) Entschädigt die Menschen dafür, dass sie zu eurer Entwicklung beitragen.

Während eure eigenen Mitarbeiter euch wahrscheinlich gerne und ohne weitere Entschädigung helfen, allein schon, weil ihr ihnen endlich zuhört, solltet ihr nicht davon ausgehen, dass ihr grundsätzlich gratis weitergebildet werdet. Wenn ihr kein Budget habt, geht auf DuckDuckGo und sucht nach Blogs zum Thema. Es gibt tonnenweise kostenlose Ressourcen zu ALLEM und JEDEM! Wenn euer Budget 10 € beträgt, kauft ein Buch. Wenn ihr möchtet, dass eine Rassismus-Expertin euch und euer Team coacht, geht davon aus, dass sie dafür Geld verlangt. Erwähnt die Personen, die euch geholfen haben, indem ihr sie beim Namen nennt. Macht sie als die Experten sichtbar, die sie sind, und nicht so sehr als Mitglieder einer benachteiligten Gruppe.

Was ich für euch tun kann, wenn ihr Benachteiligungen in eurer Organisation abbauen wollt

Die Strukturen in Organisationen spiegeln in der Regel die Strukturen der Gesellschaft wider. Und es wäre albern anzunehmen, dass wir nicht diskriminieren. Anti-Diskriminierungsgesetz hin oder her. Persönliche Wertvorstellungen hin oder her. Wir können aber jederzeit innehalten, uns unsere Kultur, Regeln, Abläufe und Strukturen anschauen und anfangen, Rassismus und andere Formen von Ungerechtigkeit und Diskriminierung abzubauen.

Ich helfe euch gern bei der Identifizierung der einzubeziehenden Interessengruppen, moderiere Gespräche und berate euch, wie eure Strukturen und Prozesse angepasst werden können, um das Risiko einer unbeabsichtigten Diskriminierung zu verringern. Denn davon gehe ich immer aus: Dass ihr Menschen nicht absichtlich diskriminiert. Falls doch, bin ich nicht die richtige Beraterin.


Was ich derzeit selbst tue

Ich kann ja schlecht schreiben: Prüf deine weiße Umgebung, und selber weitermachen wie bisher. Deshalb kurz dazu, was ich in den letzten Tagen selber gemacht und was ich mir für die Zukunft vorgenommen habe.

Ich beschäftige mich nicht zum ersten Mal mit dem Thema Rassismus, deshalb folgt jetzt keine Liste konkreter Ideen für den Einstieg ins Thema. Sonder eher eine Reflexion darüber, wo ich gerade stehe.

Natürlich habe ich keine eigenen Rassismus-Erfahrungen als Betroffene. Aber ich nehme meine Umgebung wahr. Ich habe mich mit wissenschaftlichen Theorien zu Diskriminierung beschäftigt. Ich unterhalte mich mit meinen Mitmenschen. Vielleicht kann ich ein wenig den Schmerz und die Wut als Betroffene nachempfinden, weil ich in einer anderen Kategorie selbst die Erfahrung der Benachteiligung und Stereotypisierung gemacht habe. Zumindest bilde ich mir ein, dass ich das – bis zu einem gewissen Grad – kann.

Das macht es verlockend, sich gar nicht mehr mit Rassismus zu beschäftigen, weil „ja, weiß ich schon alles“. Und dieser Haltung habe ich mich gestellt diese Woche. Ich habe sehr viel zugehört und sehr wenig dazu gesagt.

Checking my privilege

Mike Von: Protest in LA

Ich habe darauf geachtet, und will das weiter tun, in den sozialen Netzwerken mehr People of Colour zu folgen. Mein professionelles Netzwerk rekrutiert sich vor allem aus dem persönlichen Umfeld und den Institutionen, in den ich unterwegs bin. Und beide Bereiche sind vorwiegend weiß. Es liegt an mir, das aktiv anzugehen. Und gleichzeitig will ich niemanden ansprechen, „weil“ er oder sie einen bestimmten Hintergrund hat. Über meine Befindlichkeit hinweg zu kommen, ist Arbeit, die ich selber leisten muss.

Ich merke, dass ich als weiße Frau manchmal Sorge habe, dass Frauen of Colour künftig den „Frauenspot“ bekommen, weil Unternehmen und Redaktionen mit ihnen mehrere Diskriminierungskategorien gleichzeitig abhaken können. Und ich setze mich aktiv mit dieser Sorge auseinander, weil das gegeneinander Ausspielen von Gruppen Teil des Systems von Unterdrückung ist. Was wir brauchen, ist aber Solidarität. Ich sehe euch. Und ich sehe das System, das dazu führt, dass ich euch als Bedrohung wahrnehme – wenn auch nur für einen kurzen Moment – statt als „cool, mehr sichtbare Frauen“.

Und ich nehme genau diese Haltung mit in meine Arbeit. Cool, mehr Vielfalt! Ich bin nicht perfekt. Ich verlange keine Perfektion von meinen Kunden. Aber es sind unsere blinden Flecken, die Dinge, über die wir schon Bescheid zu wissen glauben, die uns anfällig dafür machen, andere zu diskriminieren.

Die Situation in den USA sollte für uns alle Anlass sein, mal wieder zu prüfen, wo wir selber gerade stehen und wo wir nachlässig geworden sind. Und wie wir unsere Stärke und Vorteile nutzen können, um Diskriminierung abzubauen. Und möglicherweise müssen wir auch mehr darüber nachdenken, mit wem wir zusammenarbeiten wollen. Das hier ist meine Verortung.


Wer sich für den Zusammenhang zwischen Rassismus und Katastrophenmanagement interessiert, hier ist der Link zu den Suchergebnissen bei Google Scholar. Hurrikan Katrina ist eine der am besten untersuchten Katastrophen der letzten Jahre. Fangt damit an.

Foto: Photo by Mike Von on Unsplash.

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